Auf ungarndeutschen Spuren in den Kleinstädten

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Neue Lehrpfade in Mohatsch und Petschwar übergeben

Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen ist sehr stolz darauf, zwei Neuzugänge des landesweiten Netzwerks an ungarndeutschen Lehrpfaden vorstellen zu dürfen: Unlängst wurden die neuen thematischen Wanderwege in zwei Städten der Branau, in Mohatsch und Petschwar, übergeben. Die Interessenten erwarten somit bereits elf Routen in elf von Deutschen bewohnten Ortschaften Ungarns. Die lediglich einige hundert Meter langen Pfade sind sehr gut besucht, wobei sich immer mehr Dörfer und Städte bereit erklären, durch den freiwilligen Beitrag von Institutionen und Zivilorganisationen Kuriosa und Werte der vor Ort lebenden Ungarndeutschen zu ermitteln und auf Tafeln, interaktiven Installationen und in Begleitheften zu präsentieren.

Am 17. Dezember war es wieder einmal soweit: Auch in Mohatsch wurde ein ungarndeutscher Lehrpfad übergeben. Die Stadt mit etwa 17.000 Einwohnern liegt am rechten Donauufer in der Nähe der kroatischen Grenze Ungarns. Sie ist vor allem für ihr alljährliches Faschingskarneval, dem sogenannten „Buscho-Umzug“ der dort lebenden kroatischen Nationalität bekannt, aber auch der ungarndeutsche Charakter der historischen Kleinstadt ist bedeutend. Dieser weicht jedoch von denen in den Dörfern der Umgebung ab: Einerseits, weil die Donau das Leben der Mohatscher Deutschen prägte, andererseits, weil in der Stadt eine spannende Synthese der Merkmale der umliegenden Ortschaften zu beobachten ist. Das Konzept des nagelneuen Lehrpfades basiert gerade auf dieser Synthese. Die Inhalte der Stationen des thematischen Weges bestehen aus zwei Ebenen: Die an den einzelnen Haltepunkten geschilderten ortstypischen Merkmale werden jeweils durch eine Persönlichkeit aus der Stadt verkörpert, wobei sich teilweise auch ein generell für die ungarndeutsche Volksgruppe typisches Bild abzeichnet. Die insgesamt sieben Stationen mit zweisprachigen Tafeln und das dazu gehörende, reich illustrierte Begleitheft führen durch Geschichte, Kultur und Gegenwart der ungarndeutschen Gemeinschaft der Kleinstadt.

Trotz klirrender Kälte wohnten der feierlichen, musikalisch umrahmten Übergabe des thematischen Weges am Millenniumsdenkmal viele Gäste bei. Projektleiterin Gabriella Hahner-Feth, Vorsitzende der Deutschen Selbstverwaltung Mohatsch betonte in ihren Grußworten, dass diese Stadt einer der besten Orte sei, um über das Ungarndeutschtum zu sprechen: „Nicht nur, weil wir am Ufer des Flusses stehen, der zur wichtigsten Verkehrsroute bei der Ansiedlung der Deutschen im 18. Jh. geworden ist, sondern auch deshalb, weil wohl alles hier, in Mohatsch seine Anfänge hat: Wir befinden uns nämlich unweit von dem Schlachtfeld, wo 1526 die Osmanen das Heer des jungen ungarischen Königs besiegten. Die öden Landschaften und entvölkerten Dörfer, die nach der 150jährigen Herrschaft der Osmanen hinterlassen wurden, motivierten damals die Grundherren dazu, neue Siedler in diese Gegend zu rufen. So begann die Kolonisation, die Ansiedlung der Deutschen. Wenn Sie die Informationstafeln an den Stationen und die Begleithefte durchlesen, können Sie vieles über die Deutschen hier in unserer Stadt erfahren: Über die Ansiedler, die laut Matrikeleinträge um das Jahr 1770 hier ankamen, und sich in der ehemaligen Deutschen Gasse – heute Kossuthstraße eine neue Heimat suchten; über die vielen schwäbischen Familien, die fast 200 Jahre später, um 1960 ebenfalls in Mohatsch ein neues Leben fanden. Über Donaumüller und Fischer, die mit der Donau eng verbunden viele Generationen lang ihren Beruf ausübten; über den Musiklehrer, der sein Leben jahrzehntelang dem Akkordeonunterricht widmete. Und über die Völker, die hier in unserer Stadt Jahrhunderte lang friedlich miteinander lebten und auch heute noch leben.“

„Erinnern ist eines der wichtigsten Dinge im Leben, und vielleicht war es die Fähigkeit, dies zu tun, die die deutsche Selbstverwaltung dazu veranlasste, diesen thematischen Weg zu errichten“, unterstrich in seiner Ansprache Bürgermeister Gábor Pávkovics: „Mohatsch ist eine multiethnische Stadt, unsere Nationalitätenselbstverwaltungen leisten eine sehr wichtige Arbeit, sie existieren nicht in Dokumenten, sondern pflegen aktiv ihre Traditionen und erinnern ihre Kinder daran, woher sie kommen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einrichtung dieses Lehrpfads, der nicht nur eine Touristenattraktion ist, sondern auch eine sehr ernst zu nehmende Informationsbasis, die daran erinnert, wie die Deutschen nach Mohatsch kamen und wie das Leben in unserer Stadt war. Sowohl damals als auch derzeit waren und sind die Deutschen eine der wertvollsten Volksgruppen in unserer Stadt.“

Den Veranstaltungen wohnte auch Dr. János Hargitai, Mitglied des Parlaments und Ministerialbeauftragter, bei. In seinen Reden erinnerte er unter anderem daran, dass es erfreulich sei, dass es nach vielen Jahrzehnten des Schweigens endlich möglich ist, über bestimmte Perioden der Geschichte der Ungarndeutschen zu sprechen, und dass der Verschleppung und Vertreibung der Deutschen landesweit und regelmäßig gedacht wird. Aber man solle nicht nur über diese schmerzhaften Erinnerungen sprechen, sondern auch über die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn. „Im Jahr 1723 verabschiedete der ungarische Landtag das sogenannte Ansiedlungspatent. In ein-zwei Jahren jährt sich dies zum 300. Die Deutschen, die damals hierherkamen, waren keine mittellosen Menschen, die irgendwo auf der Welt auf der Flucht waren, sondern Menschen, die das Wissen, das Geld und die Mittel hatten, sich hier ein neues Leben aufzubauen. In der kommenden Zeit werde ich überall, wo ich hinkomme, darauf hinweisen, dass es in den nächsten Jahren angebracht ist, auch dieser Ereignisse zu gedenken, um all dem einen Platz im ungarischen Geschichtsbewusstsein zu geben, denn die angesiedelten Deutschen bedeuteten die Wiederbelebung des zentralen Teils Ungarns.“

Die Gedanken von Ibolya Hock-Englender, der Vorsitzenden der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen übermittelte den Mohatschern LdU-Vollversammlungsmitglied Gábor Werner, der Experte des Lehrpfadprojekts. An der Feierstunde am 21. Dezember in Petschwar konnte LdU-Chefin Hock-Englender auch persönlich anwesend sein: „Dauerhafte Stärkung der ungarndeutschen Identität: Dies ist die erstrangige Zielsetzung jener ungarnweit einzigartigen Initiative, die die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen im November 2014 als Teil ihrer Bildungsstrategie zu verwirklichen begonnen hat. Unser Vorhaben war, anhand eines konkreten Projekts dem Gemeinschaftsleben vor Ort Schwung zu geben, wobei etwas Wertvolles und Handgreifliches entsteht. Von vielen Ideen ist die Wahl nun darauf gefallen, dass in mehreren Ortschaften interaktive Lehrpfade errichtet werden sollen: Ausgebaute Themenwanderwege, die stationenartig durch die Ortschaft führen und Informationen über Vergangenheit und Gegenwart, über örtliche Gebäude, Bräuche, Dorfgeschichte, wichtige Persönlichkeiten der Ungarndeutschen in der Gemeinde vermitteln. Diesen Inhalten sollen Hintergrund und Quellenmaterialien zugrunde liegen, die im Ort selbst gesammelt, systematisiert und bearbeitet werden. Die Erläuterungsschilder, mit interaktiven Mitteln versehenen Tafeln, die schriftlichen Führer sollen am Weg Jung und Alt neugierig machen und zur Wissenserweiterung der Besucher beitragen. An den einzelnen Stationen soll alles erlebt und ertastet werden können. Eins war uns klar: Der entstehende Lehrpfad soll eine Bindung zu den Ungarndeutschen des gegebenen Ortes darstellen und es darf nach Projektende keinesfalls einschlafen. Die neue Anlage soll zum Stolz der Ortschaft werden, deren Zustandebringen auf gemeinnützigem Engagement beruht. Während der Recherchearbeiten sollen die Mitwirkenden viel Neues dazulernen und wertvolle Informationen über ihr Heimatdorf oder ihrer Stadt ans Tageslicht bringen. Und wenn der Lehrpfad mitunter auch zur touristischen Attraktion wird, umso besser. Die beiden Pilotprojekte in Schomberg und Sanktiwan sind 2016 der breiten Öffentlichkeit präsentiert worden. Nach sechs Jahren können wir sagen, dass beide Lehrpfade zum vollen Erfolg geworden sind. Wir können sogar behaupten, dass das Lehrpfadprojekt zu einer Bewegung geworden ist. Es sind stets Gäste da: mehrere Pädagogen, Kinder und Schüler, aber auch Studenten oder bloß neugierige Touristen. Während der Jahre kamen zu den ersten zwei weitere hinzu: Tarian, Nadasch, Feked, Badeseck, Band, Tscholnok, und voriges Jahr der Landeslehrpfad in Baje, der unser größtes Unterfangen war. Und nun kommen weitere drei hinzu: Mohatsch, Petschwar und Bogdan. Der Ausbau der Lehrpfade wird vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat finanziell mitgetragen. Von außen sehen sich die Lehrpfade sehr ähnlich: Die Schilder, das Gerüst, dass sie nach einem bestimmten Leitgedanken aufgebaut sind – dies alles soll darauf hinweisen, dass sie Teil eines Netzes sind. Inhaltlich sind sie jedoch vollkommen verschieden – und auch das ist absichtlich. Wir haben sehr darauf geachtet, dass Eigenheiten der jeweiligen Gemeinden gezeigt werden. Das war gar nicht so einfach. Im Allgemeinen nehmen wir nicht wahr, wenn wir etwas Besonderes besitzen. Wir wollen nicht glauben, dass wir solche Eigenheiten haben, die uns von anderen unterscheiden, die es kein zweites Mal gibt. Diese feinen Unterschiede zu finden, und dann glauben zu lassen, dass diese auch Außenstehende interessieren könnten, war vielleicht die schwierigste Aufgabe bei allen Projekten. Hier möchte ich im Namen der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen allen Gestaltern dieser Lehrpfade, den Mitgliedern der deutschen Selbstverwaltung für ihr Engagement und ihre gewissenhafte Arbeit danken.“

Petschwar, die etwa 4000 Einwohner zählende Kleinstadt in der östlichen Branau ist seit 1000 Jahren das Zentrum der Kleindörfer um den Berg Zengő. Der thematische ungarndeutsche Wanderweg wurde hier am 21. Dezember übergeben und trägt den Titel „Stadt auf dem Lande“.

Die Geschichte der Stadt und die ihrer Bewohner deutscher Abstammung sind eng miteinander verbunden. Typisch für das hiesige Ungarndeutschtum ist, dass die Kleinstadt durch die ständigen Neuansiedler immer neu geprägt wurde: Das widerspiegelt sich im deutschen Dialekt, hat aber ihre Spuren auch in der Tracht und in den Bräuchen hinterlassen. In der Entwicklung der Gemeinschaft haben besonders Handwerker und Beamte eine prägende Rolle gespielt und haben Petschwar zu dem gemacht, was es heute ist. Als Zentrum der Kleinregion hatte die Stadt auch eine Wirkung auf die umliegenden Dörfer. Die Gegenseitigkeit zwischen der Kleinstadt und der Region widerspiegelt sich in den Stationen des Lehrpfades. 

„Es ist uns eine Ehre, dass unsere Stadt eine solche Förderung erhalten hat, und es ist eine großartige Sache, dass ein solcher Lehrpfad in Petschwar geschaffen werden konnte“, sagte János Zádori. Der Bürgermeister fügte hinzu, dass es erfreulich sei, dass die neue Einrichtung eine zusätzliche Möglichkeit für junge Menschen biete, die örtlichen Ungarndeutschen in der Zeit der Corona-Pandemie kennenzulernen. Er ermutigte die Lehrkräfte, mit ihren Schülerinnen und Schülern nach Möglichkeit den thematischen Weg gemeinsam zu begehen.    

„Der Lehrpfad stellt in 7 Stationen die verschiedenen Gründe und Anlässe dar, aus denen und wofür die Neubewohner und Tagesbesucher die Stadt ausgewählt und aufgesucht haben – seit mehreren Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag“, erklärte in ihren Grußworten Projektleiterin Bernadett Gász-Bősz, Mitglied der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung Petschwar. „Die Stationen führen durch Stadtteile, die von den Deutschen jahrhundertelang geprägt worden sind. Die Route verbindet ungarndeutsche Erinnerungsplätze und zeigt verborgene Schätze. Die Tafeln, das Begleitheft und das jeweilige Umfeld vermitteln gemeinsam den Inhalt, der durch Installationen, ein herunterladbares Arbeitsheft und ein audiovisuelles Material vervollständigt wird. Letzteres ist per QR-Codes erreichbar. BesucherInnen können sich Erzählungen in zwei Sprachen anhören. Ziel war, mit kurzen Geschichten das Interesse zu erwecken und zu weiteren Recherchen aufzumuntern. Es war für uns sehr wichtig, die große Geschichte zu personalisieren, also Menschen vorstellen, die wohlbekannt sind. Der Lehrpfad hat geholfen, das Gefühl der Zusammenhörigkeit, des Stolzes auf die Gemeinschaft, und schließlich die Identität zu stärken.“

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