Dr. Maria Erb mit dem Preis „Für die Nationalitäten 2020“ ausgezeichnet – Die ungarndeutsche Pädagogin und Forscherin im Interview

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Durch die Gemeinschaft stark

■ Die Auszeichnung bedeutet für mich sehr viel. Genauso, wie die Ehrennadel 2012. Wer mich kennt, der weiß, ich würde meine Arbeit auch ohne Auszeichnungen genauso machen: dafür sind meine Verbundenheit mit dem Ungarndeutschtum viel zu eng und mein Verantwortungsgefühl für unsere Zukunft viel zu groß. Diese Grundhaltung sollte auch mein „Wahlspruch“ 2019 zum Ausdruck bringen: „Wenn man von einer Gemeinschaft so viel bekommen hat, steht man in der Pflicht, ihr zu dienen: mit dem Kopf und mit dem Herzen.“ Es tut aber sehr gut, dass die Arbeit, die man seit vielen Jahren verrichtet – bei mir sind es gerade 35 Jahre, in denen ich in diesem Bereich tätig bin – als Zeichen der Wertschätzung in Form einer Auszeichnung anerkannt wird.

Es sind aber nicht nur meine Verdienste, die jetzt durch diesen Preis gewürdigt wurden, es haben viele einen Anteil daran, denen ich zum Dank verpflichtet bin: Allen voran meinen Eltern, die durch ihr persönliches Beispiel mich grundsätzlich geprägt haben, ohne sie wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Zugleich danke ich auch meinem Mann, der mich von Anfang an in jeder Hinsicht unterstützt und bei weitem nicht zuletzt den vielen Ungarndeutschen vor Ort, die mich immer herzlich empfangen, mir ihre Zeit und ihr Vertrauen schenken, meine Fragen beantworten, Einblicke in ihr Leben gewähren, mich durch Heimatmuseen, Kirchen und Kirchhöfe führen. Ich möchte mich auch auf diesem Wege bei allen bedanken, die mir bisher geholfen haben und freue mich sehr auf die weitere Zusammenarbeit.

„Mein wertvollstes Erbe ist die Sprache“

■ Ich stamme aus Wemend, meine Motivation bringe ich von zu Hause mit, somit ist diese eine sehr persönliche. Ich hatte eine sehr behütete, schöne Kindheit, mein Vater und meine Mutter waren einzigartige Menschen, von ihnen habe ich Haltung, Grundwerte und Prinzipien mit auf den Weg bekommen, nach denen ich bis heute lebe. Mein wertvollstes Erbe ist meine Muttersprache, der Dialekt. Ich hatte das Glück, in einer Drei-Generationen-Familie aufzuwachsen, bei uns daheim gab es nur deutsches Wort. Meine Oma väterlicherseits, die Resi Oma, konnte überhaupt kein Ungarisch, von ihr habe ich Sprüche, Reime, Lieder gelernt. Ich kam ganz ohne Ungarisch-Kenntnisse in den Kindergarten, heute leider unvorstellbar. Die Werte, die Normen, die Identität und diese Verbundenheit, sind es, worauf ich sehr deutlich aufbauen kann. Von dieser festen Basis zehre ich bis zum heutigen Tag.

Schon viel geschafft, aber noch viel vor

■ Wenn man im Hochschulwesen arbeitet, gibt es bestimmte Qualifikationen wie die Promotion, die Habilitation, die als Meilensteine im wissenschaftlichen Werdegang gelten. Nicht unabhängig von diesen haben natürlich auch die Publikationen einen hohen Stellenwert. Ich erinnere mich sehr gerne an das Erscheinen vom ersten und zweiten Halbband des Ungarndeutschen Sprachatlasses, oder an meine Monographie über die ungarischen Lehnwörter in unseren Dialekten. Ein ganz besonderer Moment für mich und für die Mitherausgeberin Maria Wolfart war aber auch, als wir den druckfrischen Valeria-Koch-Gedenkband in der Hand hielten. Wichtig war auch die Übergabe der drei Ortslehrpfade, die ich fachlich begleitet habe, es war sehr bewegend, die Freude und den Stolz der lokalen Gemeinschaft mitzuerleben. Nicht unerwähnt bleiben darf selbstverständlich der Landeslehrpfad, ich werde nie vergessen, wie wir mit Maria Frey uns ganz spontan um den Hals fielen, als wir die Stationen in echt das erste Mal sahen.

Zur Fertigstellung solcher Projekte führt ein langer Weg der Datenerfassung. Mir bereiten Recherchen vor Ort – neben ihrem wissenschaftlichen Ertrag – bis heute unsagbar viel Freude, es sind scheinbar kleine, dennoch sehr wichtige Glücksmomente für mich, die ich nicht missen möchte: So z. B. wenn ich an einem Vertreibungsdenkmal ein von mir bisher nicht dokumentiertes Motiv, an einem Wandschützer einen neuen Spruch oder an einem Grabstein eine Inschrift entdecke –, um nur einige zu nennen. Eine ganz besondere Bedeutung bei der Feldarbeit haben für mich die Gespräche mit Ortseinsässigen, insbesondere, wenn die Unterhaltung im Dialekt verläuft.

Ich bin aber nicht nur Wissenschaftlerin, sondern auch Pädagogin. Dieser Teil meines Jobs ist für mich nicht minder wichtig, denn wir alle tragen im Hochschulwesen eine große Verantwortung, was die Herausbildung von qualifizierten, engagierten Pädagogen und einer ungarndeutschen Intelligenz anbelangt. Die Studenten gehören – aus bekannten Gründen – leider nicht mehr zur „Erlebnisgeneration“. Deshalb finde ich es besonders wichtig, dass in ihrer Ausbildung, neben der faktischen Wissensvermittlung, auch der Praxis eine bedeutende Rolle zukommt, z. B. in Form von ausgelagerten Projekttagen, Ausflügen, Institutsbesuchen.

Meine letzten beiden langatmigen Projekte – der Valeria-Koch-Gedenkband und der Landeslehrpfad – wurden 2020 abgeschlossen. Das ermöglicht mir, mich in der nächsten Zeit Themen zu widmen, zu denen ich bereits eine Menge „Rohdaten“ zusammengetragen habe. Diese möchte ich nun auswerten, analysieren und publizieren. Ich befasse mich seit Jahren mit unserer Erinnerungskultur, insbesondere mit ihrer Manifestierung des kulturellen und des kommunikativen Gedächtnisses in Form von Denkmälern und Gedenktafeln. Diese Abdrücke der Geschichte und des Schicksals im öffentlichen Raum entstehen ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und sind typischer weise der Ansiedlung, der Verschleppung und der Vertreibung gewidmet. Sowohl ihre Motive und ihre Formsprache als auch ihre Inschriften liefern vielfältige, und – davon bin ich überzeugt – wichtige und neue Erkenntnisse. So kann z.B. eine Transformation bzw. ein Statuszuwachs der Ulmer Schachtel festgestellt werden, wie ich dies in meiner unlängst erschienenen Studie über die Ansiedlungsdenkmäler auch ausgeführt habe.

Von meinen laufenden Projekten möchte ich nur noch eins erwähnen, für ihre Hilfe gehen Dankesworte an Kati Berek. Bereits 2017 machte ich Interviews mit an die 25 Frauen aus den Komitaten Branau, Tolnau und Naurad, die die Tracht auch damals noch als Alltagskleidung trugen, ich sprach aber auch mit Frauen, die die Tracht abgelegt hatten. Ich bekam differenzierte und aufschlussreiche Informationen über Gründe, Zwänge und Umstände ihrer Entscheidung für oder gegen die Tracht, aber auch zum Stellenwert der Tracht als lokales Identifikationsmerkmal. Ich hoffe, ich kann in nächster Zeit auch diese Daten auswerten.

„Es liegt an uns allen, wie es weitergeht“

■ Nach dem Zweiten Weltkrieg ist vieles verloren gegangen, so manches leider unwiderruflich. Umso größer ist unsere Verantwortung sowohl individuell als auch kollektiv. Wir stehen einerseits in der Pflicht von vielen Vorgängergenerationen, all das an Sprache und Kultur zu bewahren, zu stärken, ja, auch neu zu beleben, was für sie so natürlich und selbstverständlich war. Andererseits tragen wir auch für die kommenden Generationen die Verantwortung „damit es weitergeht…“. Es liegt jetzt an uns. Sich persönlich engagieren, mit gutem Beispiel vorangehen waren vielleicht noch nie so wichtig. Und noch etwas: aus der Gemeinschaft, aus dem Miteinander geht eine ungeheure Kraft aus. In jüngster Vergangenheit konnte ich zu meiner großen Freude feststellen, dass in unsere Siedlungen Leben eingekehrt ist, eine Art Neubelebung, Rückbesinnung stattfindet. Das sieht man an den zahlreichen Programmen, Aktivitäten und verschiedenen Initiativen wie Restaurierung des baulichen und sakralen Kulturerbes, Zusammenstellung von Mundartwörterbüchern, zweisprachige Straßenschilder, Revitalisierung von Bräuchen oder Festivals. Wenn meine Forschungen und Vorträge, meine Expertisen und Ratschläge dazu beitragen, all dies noch weiter auszubauen, das gibt meiner Tätigkeit immer wieder einen Sinn.

Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen gratuliert Frau Dr. Erb ganz herzlich zur Auszeichnung und wünscht ihr beste Gesundheit und viel Schaffenskraft!

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