„Mit meiner Arbeit diente ich stets dem Ungarndeutschtum” – Ildikó Szeltner-Winhardt, ehemalige Leiterin des Regionalbüros Nord der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen ging in Rente

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■ Familie, Herkunft, Sprache

„Aufgewachsen bin ich in einer deutschen Familie in Ujfluch/Szigetújfalu, wo ich bis 2006 gelebt habe. Die Familie meines Vaters wurde 1946 vertrieben, sie flohen nach einem halben Jahr durch eine risikobehaftete Reise wieder nach Ungarn zurück. Drei Jahre lang haben sie bei Verwandten und Bekannten gewohnt, bis sie wieder ihre Staatsbürgerschaft zurückbekommen haben. Mein Großvater mütterlicherseits wurde zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, er ist auch da verstorben. 2009 war ich da in der Gegend, wo sie sich zu sechst in einem Kohlenwaggon versteckt haben, er wollte zu seinen kleinen Waisen nach Hause zurückfliehen. Es hat nicht geklappt.

Meine Eltern und Großeltern väterlicherseits sprachen untereinander schwäbisch. Obwohl ich ihnen immer ungarisch geantwortet habe, war der Dialekt in meiner Kindheit immer Teil meines Alltags. Abends hat meine Mutter immer mit mir gesungen, die Lieder ‚In de kriane Wiesn huckt a Krokodű‘ oder ‚Hans, pleb to…‘ habe ich schon damals auswendig gekannt. Bis ich dann mit 17 Jahren in die örtliche deutsche Volkstanzgruppe eingetreten bin, konnte ich auch schon die Lieder ‘In de Insel sted a Paam‘ und ‚Mi san zwa feschi Priade‘, die wir damals beim Tanzen gesungen haben.

Hochdeutsch habe ich in der Schule gelernt. Als ich in die 7. Klasse ging, habe ich auch Sonderstunden in Deutsch gehabt, ich konnte da aus einem alten Buch mit Frakturschrift Deutsch lernen. Im Gymnasium in Ráckeve war ich damals die einzige, die ein mündliches Abitur in Deutsch abgelegt hat. Die Methodik des russischen Sprachunterrichts konnte ich auch im Deutsch als Minderheitensprache-Unterricht gut verwenden, mein Bibliothekar-Abschluss hat mir einen systemorientierten Überblick verschafft. Nach der Geburt meines Sohnes und meiner Tochter habe ich angefangen in der örtlichen Schule zu unterrichten. 1993 habe ich mich von Russisch auf Deutsch umgeschult und habe innerhalb weniger Monate eine deutsche Sprachprüfung abgelegt. Danach habe ich mich an der Pädagogischen Hochschule Buda eingeschrieben, wo ich nach 3 Jahren mein Lehrerdiplom für Deutsch in der Unterstufe bekommen habe. Damals hat die Pädagogische Hochschule in Baje die postgraduale Ausbildung Deutsch als Minderheitenfach gestartet, und ich habe mich sofort beworben. Nach 2,5 Jahren haben wir ein Diplom bekommen, auf das ich heute noch sehr stolz bin, ich habe nämlich mit Summa Cum Laude abgeschlossen.

Meinen Kindern habe ich meine Liebe zu den deutschen Volksbräuchen weitervererbt: Alle beide haben die örtliche Nationalitätengrundschule besucht, waren in der Tanzgruppe und spielten Musik, sie waren auch in Volkskundecamps. Mein Sohn war auch noch während seines Studiums Mitglied der Tanzgruppe, meine Tochter wurde deutsche Nationalitätenkindergärtnerin. Nach der Geburt meines Enkelsohns haben wir dieses ‚eine Person – eine Sprache‘ Konzept ausprobieren können; es war überwältigend zu sehen, dass so ein kleines Wesen, dass noch nicht sprechen konnte, mich trotzdem verstand. Natürlich gibt es bei uns immer noch schwäbische Kinderreime und Lieder, die meine Enkelkinder sehr mögen, sie dürfen einfach nicht fehlen.“

■ Die Liebe zur ungarndeutschen Kultur

„Die Liebe zum Volkstanz habe ich von meinem Vater geerbt, die Liebe zum Gesang von meiner Tante. Noch als Lehrerin habe ich mit dem Sammeln von ungarndeutschen Kinderspielen begonnen. Nachdem ich meinen Volkstanzpädagogen-Abschluss (die sog. Kategorie C) nach einer zweijährigen Ausbildung im Nationalen Bildungsinstitut bekommen habe, habe ich die Leitung der Nachwuchsgruppe in Ujfluch übernommen. Ich habe von renommierten ungarndeutschen Tanzpädagogen, in den 1980er Jahren von József Wenczl und Miklós Manninger lernen können, und in den 1990er Jahren nahm ich fünfmal an den Volkstanzcamps von Helmut Heil in Fünfkirchen teil.

20 Jahre war ich Mitglied im Chor ‚Freunde der Musik‘ unter der Leitung von Aladár Hufnagl. Ich war 1991 Gründungsmitglied unseres ungarndeutschen Kulturvereins, in dem ich heute als Sekretärin tätig bin. Im Rahmen der Vereinsarbeit habe ich mit der Zusammenstellung einer ortstypischen Sammlung begonnen, diese Arbeit haben die Abgeordneten der deutschen Selbstverwaltung ab 2010 in einem alten ungarndeutschen Bauernhaus fortgesetzt, das sie von der Selbstverwaltung für diesen Zweck erhalten haben. Im Sommer veranstalten wir ungarndeutsche Volkskundecamps und für den Ungarndeutschen Jugendkreis gibt es jeden Monat thematische Veranstaltungen. Ich interessiere mich auch für Ahnenforschung: Familie Winhardt kam 1722 aus Genderkingen in Bayern nach Ungarn, ich bin also gerade die 10. Generation dieser Familie.

Neben meinen vielen Tätigkeiten habe ich mich auch im Tanzunterricht ausprobieren können, zuerst vor Ort, später auch in Szigetbecse und Budapest. Ich habe mich sogar in eigenen Choreographien ausprobiert, diese sind heute feste Bestandteile im Repertoire der ungarndeutschen Volkstanzgruppen der Umgebung. Ich bin seit drei Jahren Leiterin der Tanzgruppe Große Kowatscher Runde Senior.“

■ 17 Jahre im Dienst der deutschen Selbstverwaltungswesens

„1994 wurden die ersten deutschen Minderheitenselbstverwaltungen gegründet, ich war von Anfang an dabei, zuerst als Abgeordnete, in der zweiten Periode schon als Vorsitzende, und später war ich noch lange Vizevorsitzende der Deutschen Selbstverwaltung Ujfluch. 2003 habe ich mich nach dem tragischen Tod von Ferenc Kerner für den Posten des Büroleiters im Regionalbüro Nord beworben. Als ich ausgewählt wurde, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt.

Meine vorhandenen Kenntnisse über die deutsche Minderheit haben sich erweitert, ich konnte neue Gesichtspunkte kennenlernen, neue Erlebnisse sammeln – eigentlich wurde das Alte fortgesetzt, nur ein bisschen anders. Anfangs war ich jedes Wochenende an einer Veranstaltung, um die ungarndeutschen Kulturvereine der Umgebung kennenzulernen, aber auch die Selbstverwaltungen, denn durch die persönlichen Kontakte war die gemeinsame Arbeit dann viel leichter. Sehr viel habe ich von unserem heutigen Parlamentsabgeordneten, Emmerich Ritter gelernt, denn das nach Wudersch versetzte Regionalbüro hat er zur Verfügung gestellt. Zu Beginn habe ich die Datenbanken aktualisiert, danach habe ich dann schon den Jahresplan mit Terminkalender erstellt und die deutschen Selbstverwaltungen regelmäßig durch Newsletter und Rundbriefe über die aktuellsten Informationen in Kenntnis gesetzt.

Anfangs waren meine Aufgaben vom Verband der Deutschen Selbstverwaltungen der Region Nord (ÉMNÖSZ) festgelegt und zu diesen Vorgaben musste ich dann Bewerbungsmöglichkeiten suchen. Ich habe viel von Icu Huszák gelernt, sie war damals die Vorsitzende des Kulturausschusses von ÉMNÖSZ. Auf ihre Initiative wurden die Ungarndeutsche Volkstanzwerkstatt gestartet und zahlreiche Volkstanzfortbildungen organisiert, an denen ich als Teilnehmerin oder Pädagogin mitgewirkt habe. Von ihr habe ich die Organisation der Kulturgala der Region Nord übernommen – diese Veranstaltung ist bis heute ein Höhepunkt im ganzen Jahr, an dem auch die erfolgreichsten Kulturgruppen unserer Region auftreten.

In den 17 Jahren habe ich sehr viele schöne Erinnerungen gesammelt – persönliche Kontakte, die Vollversammlungen der Region Nord, zahlreiche hervorragende Veranstaltungen der deutschen Gemeinschaften in der Region Nord. Ich mag die deutschsprachigen Rezitations- und Prosawettbewerbe und die Gesang- und Musikwettbewerbe für die Kinder und Jugendliche, denn diese tragen alle in großem Maße dazu bei, dass auch die junge Generation als aktiver Gestalter unserer Bräuche da ist. Wichtig ist auch die Arbeit, die wir bei den Fortbildungen für Pädagogen geleistet haben, diese haben sich mittlerweile zu internationalen Kontakten entwickelt. Ich bin auch dem einstigen Vorsitzenden der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Otto Heinek, tief verbunden, denn wegen seiner Initiative haben wir erst damit angefangen, die Schwerpunkte mehr auf unsere örtlichen ungarndeutschen Werte hier im Komitat Pesth zu legen.

Ich hatte das Glück, an zahlreichen örtlichen und regionalen Veranstaltungen mitzuwirken, ich denke gerne an diese zurück, sie sind alle wichtig für mich. Ich bin den Mitarbeitern der Landesselbstverwaltung und all meinen ehemaligen Kollegen in den Regionalbüros sehr dankbar für die viele Hilfe und Unterstützung. Ich bedanke mich an dieser Stelle auch beim Vorstand und meinen ehemaligen Kollegen bei ÉMNÖSZ, die mich bei all meinen Vorhaben unterstützt haben. Ein großes Dankeschön gilt auch den deutschen Selbstverwaltungen der zu mir gehörenden drei Komitate, und den vielen Vereinsvorsitzenden, mit denen ich in den 17 Jahren in Kontakt gekommen bin, und mit denen wir gut zusammenarbeiten konnten. Ich hoffe, dass sie genauso auf unsere gemeinsame Zeit zurückblicken und sehen, dass ich mit meiner Arbeit stets ihnen und dem Ungarndeutschtum diente.

Meine Nachfolgerin wurde Mária Boróczki-Pittler. Es hat sich schon während unserer gemeinsamen Arbeit herausgestellt, dass sie weder mit der Organisation noch der Abwicklung von Konferenzen, Präsentationen, Hintergrundarbeit, Erstellung von Haushaltsberichten, Kalkulation von Bewerbungen Schwierigkeiten hat. Sie hat ein geisteswissenschaftliches Diplom, einen Wirtschaftsabschluss mit Deutsch und Englisch, und sie ging diesen neuen Job mit jungem Schwung an. Sie hat eine angenehme Persönlichkeit und man braucht ihr nicht die Arbeit vorher zu erklären, weil sie sofort selber agiert.“

■ Auch in der Rente aktiv

„Wir haben auch gegenwärtig laufende Projekte, die wir noch mit András Zwick, dem Vorsitzenden des Kulturausschusses vom ÉMNÖSZ ausgearbeitet und gestartet haben, und die wir auch in Zukunft gerne fortsetzen möchten. Eines dieser ist eine regionale Veranstaltungsreihe, die vom Sándor-Csoóri-Fond unterstützt wird, und dessen dritter Teil ein Volkstanzprojekt mit ungarndeutschen Tänzen aus dem Karpatenbecken ist. Wir setzen auch unsere beliebten Tanzhausveranstaltungen fort, in deren Rahmen wir den Teilnehmern aus der Umgebung die 1976 vom Volkstanzsammler Kurt Petermann aus Deutschland, in Schaumar und Tschepele gesammelte original ungarndeutsche Schritte beibringen können – so unter anderem den Szigeter Mazur, den mir noch damals mein Vater als Kind beigebracht hat, oder die Schrittfolge Schaumarer Straschak, die bei uns in Ujfluch Spitzbua und in Burgenland Vogelstiel genannt wird.

Meine Rentnerjahre bestehen aber nicht nur aus Arbeit: Ich kann jetzt all meine Träume verwirklichen, für die ich bisher keine Zeit hatte. Letzten Mai habe ich mir zum Beispiel ein chromatisches Tiroler Hackbrett gekauft, eine Zimbel. In Wudigess wurde ein Zitherkreis gegründet, ich habe mir gedacht, dass ich zwar keine Zither spielen kann, aber mit zwei Schlägern da herumzuscheppern wird doch wohl nicht so schwer sein, und so bin ich dem Zitherkreis beigetreten. Anscheinend hatte ich mich nicht sehr geirrt, denn das tägliche Üben trägt schon Früchte.“

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