„Unter den Bohemen zähle ich zu den Ernsten, unter den Ernsten zu den Bohemen” – Neue Intendantin an der Spitze der Deutschen Bühne Ungarn

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„Das Theater hält uns einen Spiegel vor. Von den zahlreiche Theaterauffassungen kann ich mich mit dieser am besten identifizieren”, gesteht Katalin Lotz. Wir unterhielten uns in einem Café in Seksard mit der neuen DBU-Intendantin. „Im Falle eines ernsten Stückes ist dieser ein glatter Spiegel; nehmen wir eine Komödie, so ist er ein Vexierspiegel. Der Spiegel, in den wir schauen, kann uns vieles klar machen und dadurch gerade fällige Änderungen anbahnen, er kann uns aber auch über unsere Probleme und Ärgernisse herzhaft zum Lachen bringen. Darum mag ich das Theater, und darum bin ich davon fest überzeugt, dass Schauspielen auch in unserer heutigen Welt einen Platz hat.“

„In was für einen Spiegel schautest du und was hast du darin gesehen, als du den Entschluss gefasst hast, dich um den Posten der Intendantin zu bewerben?“

„Ich habe erwogen, wo ich gerade mit meinem eigenen Leben stehe, welche meiner Träume bereits in Erfüllung gingen, und welche noch nicht. Schon eine Weile verspürte ich das Bedürfnis nach Änderung. Einfach Schauspielerin zu sein, schien mir bereits etwas eng zu sein. Mit Theaterleitung befasse ich mich schon seit längerem. Das Thema meiner von 15 Jahren geschriebenen Diplomarbeit in Betriebswirtschaftslehre war Theatermarketing. Ich habe also in Erwägung gezogen, ob ich es jetzt versuchen soll, oder erst in fünf Jahren, oder vielleicht auch nie, und mich lieber auf einem anderen Gebiet entfalten soll. Letztendlich fasste ich den Beschluss, einen Versuch zu wagen.“

„Wie war es denn, mit deiner bisherigen Direktorin um den Posten zu kämpfen?“

„Ich muss gestehen, das war nicht einfach, weil ich ja 2006 von ihr die Möglichkeit zum Spielen bekommen habe. Ich war aber nach wie vor wahrhaftig der Überzeugung – und dasselbe habe ich auch ihr gegenüber vermittelt -, dass ich mich nicht gegen sie, sondern um etwas bewerbe: weil ich der Meinung bin, dass ich zum Managen eines Theaters fähig bin, und dass ich imstande bin, die mannigfachen Aufgaben dieses kleinen Theaters so in Einklang zu bringen, dass es sich weiterentfalten kann, dass es den Ungarndeutschen und den für die deutsche Kultur offenen Menschen landesweit noch besser dienen kann, und es sich selber gleichzeitig zu einer richtigen Insel der Kultur in Seksard entwickeln kann.“

„Erzähle ’mal bitte über dich: über deine Person, über dich als Künstlerin und über dich als studierte und erfahrene Betriebswirtin!“

„Im Grunde genommen bin ich ein sehr offener Mensch, mich interessiert wirklich vieles. Mein ganzes Leben lang habe ich immer viel unternommen. Ich war Leistungsschwimmerin, zur gleichen Zeit bin ich Kajak gefahren, lernte Flöte spielen, später Gitarre, sang in einem renommierten Chor, redigierte eine Zeitung und war Mitglied einer Schauspielgruppe. Bewegung, Musik und intellektuelle Herausforderungen waren für mich immer wichtig. Ich genieße multikulturelle Vielfalt. In meinen Zwanzigern lebte ich vier Jahre lang in der multikulti Stadt München. Ich hatte das Glück, ganz viele Nationen kennenzulernen, einen Einblick in die Kultur der verschiedensten Völker zu gewinnen. Neben Deutsch und Englisch lernte ich auch Spanisch, und ich kam viel herum – vor allem in Europa, aber ich reiste auch nach Chile, in die Dominikanische Republik und nach China. Nunmehr unternehme ich weniger Reisen, mit meinem Mann haben wir Seksard liebgewonnen, uns hier niedergelassen, und wir besitzen auch schon einen Obstgarten mit einer Hütte drauf. Uns beiden brachte die Musik zusammen, bis heute musizieren wir in mehreren Formationen zusammen. Durch das Seksarder Gitarrenquartett und das Musikensemble „Virágpor” nehmen wir am kulturellen Leben der Stadt und des Komitates Tolnau aktiv teil. Unser Sohn wurde schon als Seksarder geboren. Und was für eine Person ich bin? Ich glaube, unter den Bohemen zähle ich zu den Ernsten, und unter den Ernsten zu den Bohemen.”

„Die Deutsche Bühne Ungarn kennst du sehr gut, weil du ja seit einem Jahrzehnt als Schauspielerin des Theaters tätig bist. Welche sind deiner Meinung nach die wichtigsten Werte der DBU, auf die du unbedingt bauen wirst, und welche Möglichkeiten stecken noch deiner Ansicht nach im Theater, die bisher nicht wahrgenommen wurden?”

„Einer der wichtigsten Werte der DBU ist ihr zwanzigköpfiges Team. Es handelt sich um eine kleine, aber sehr zusammenhaltende Mannschaft – praktisch um eine große Familie. Das internationale Schauspieler- und Regisseur-Team ist der Garant für das sprachliche Niveau, aber natürlich auch für eine spannende Zusammenarbeit. Die kleinen, aber feinen kulturellen Unterschiede machen das Leben hier abwechslungsreich, und sie sensibilisieren einen auch für vieles. Die Zusammensetzung des Publikums erfordert ein mannigfaltiges Repertoire, und das ist sowohl für die Schauspieler als auch für die im Hintergrund Arbeitenden sehr motivierend. Darüber hinaus halte ich es für sehr wichtig zu erwähnen, dass die Akustik unseres Theaters überaus gut ist.

Das fachliche Niveau der DBU ermöglicht uns auch, Intellektuelle in unser Theater zu locken, und zwar durch Abendvorstellungen und monatliche Abstecher nach Budapest, Raab und Fünfkirchen. Das im Februar aufzuführende zeitgenössische, lustige Stück ‚Der Vorname‘ von Delaporte – La Patelliere wird meiner Meinung nach diese Schicht unbedingt interessieren. Für den Mai planen wir Ray Cooneys Farce ’Außer Kontrolle’ aufzuführen: dieses Stück wird – vielleicht nicht unbedingt für Intellektuelle, aber auf jeden Fall für viele für viele Erwachsene, die Unterhaltung suchen – attraktiv sein. Unser Ensemble ist gut genug, um an internationalen Festivals teilzunehmen. Unsere Bühne ist für deutschsprachige Schultheaterfestivals und diverse Kulturveranstaltungen der Ungarndeutschen geeignet. Die DBU kann auch niveauvolle Kammertheatervorstellungen, musikalische Veranstaltungen und theaterpädagogische Programme anbieten und beherbergen – auch auf Ungarisch, wobei unser primäres Profil selbstverständlich die Kulturvermittlung in deutscher Sprache ist. Um diese Möglichkeiten ergreifen zu können, bedarf es gewissenhafter Planung und interner Organisierung, sowie auch effektiver Marketingtätigkeit. Diese Aufgabenbereiche müssen stark entwickelt werden. Eine weitere, unzulänglich genützte Option ist, zu unseren Jugendvorstellungen Vor- und Nachbereitungskurse anzubieten. Auch solche möchte ich bald starten.“

„Grundsätzliche Mission der DBU ist die Pflege und Vermittlung der deutschen Sprache und Theaterkultur, die Weitergabe der Kulturschätze der Ungarndeutschen, sowie die Unterstützung des Dialogs zwischen der deutschen Nationalität und der ungarischen Mehrheitsnation. Planst du – zum Beispiel bezüglich dieser Mission – prinzipielle Änderungen?“

„Ich plane in das Repertoire jeder Spielzeit ein Stück aufzunehmen, dessen Zielpublikum definitiv die ältere Generation der Ungarndeutschen ist. Mich beschäftigt auch der Gedanke, etwa zweijährlich ein Stück auf die Bühne zu bringen, das die Geschichte der Deutschen in Ungarn bearbeitet. Diesbezüglich müssen noch Recherchen durchgeführt werden. Ich überlege mir auch, jedes Jahr ein Programm zusammenzustellen, welches an verschiedenen deutschen Nationalitätenveranstaltungen aufgeführt werden kann: dadurch könnten wich am Leben der ungarndeutschen Gemeinschaft noch intensiver teilnehmen.“

„In deiner Bewerbung trifft man sowohl auf die präzise planende Betriebswirtin, als auch auf die kreative Künstlerin. Neben zahlreichen innovativen Methoden und Ideen habe ich auch über eine Zielsetzung gelesen, die nicht unbedingt leicht zu verwirklichen ist: du möchtest erreichen, dass sich in den Deutsch lernenden Jugendlichen das Bedürfnis nach deutschsprachigem Theater entwickelt. Hast du dafür konkrete Lösungsideen?“

Ja. Teenager können mithilfe der Theaterpädagogik für diese Sache gewonnen werden. Mittels der bereits erwähnten theaterpädagogischen Beschäftigungen möchte ich sie für Theatersprache, sowie für die im Stück thematisierten Konflikte, Probleme, Fragestellungen sensibilisieren. Die Aufgabe des Flegelalters ist ja die Suche nach dem eigenen Weg, das Hinterfragen von Konventionen, sowie Fragestellungen über grundlegende Lebensinhalte.. Auch das Theater macht dasselbe: es stellt Fragen, es wirft Probleme auf, und zwar durch menschliche Geschichten. An dieser Stelle kommen Teenager und Theater in Einklang. Um aber die beiden tatsächlich in Einklang bringen zu können, müssen wir als Theater dazu fähig sein, diese Chance zu nutzen und eine Theatersprache anzubieten, die die Jugendlichen auch entschlüsseln können. Die Theaterpädagogik gibt einen Schlüssel zur Deutung eines Stückes. Man wird durch spielerische Aufgaben in verschiedene, in anderen Zeiten, auf fernen Orten spielenden Situationen versetzt, um auf bestimmte Probleme Lösungsmöglichkeiten zu bekommen. Das Situationslernen und die anschließende Interpretation und Auslegung baut sich dann in das Körpergedächtnis ein, was ein viel gründlicheres Lernen sichert, als wenn nur ein Außenstehender eine Lektion erteilt.“

„Das in deiner Bewerbung geschilderte Programm ist für die kommenden fünf Jahre gültig. Wie stellst du dir die DBU Ende 2022 vor?“

„Mein Ziel ist ein deutschsprachiges Theater zu schaffen, das auf hohem künstlerischem und sprachlichem Niveau, sich auf breitem Gattungsspektrum bewegend, die Möglichkeiten der Theaterpädagogie und Sprachförderung nutzend der deutschen Nationalität, den Deutschlernenden, den in Ungarn lebenden Ausländern und allen, die Anspruch auf Kultur haben, dient. Laut meiner Vorstellung wird die Deutsche Bühne Ungarn in fünf Jahren zu einem Schnittpunkt der Kultur von Seksard, des Komitates Tolnau und von Südungarn.“

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