Vergangenheit und Gegenwart des Deutschtums von Trautsondorf und Sattel-Neudorf erlebbar 

Sowohl der 15. als auch der 16. ungarndeutsche Lehrpfad baut auf die dreifache Einheit von Schautafeln, Begleitheften und interaktiven Elementen

Das von der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen initiierte und koordinierte und vom Bundesministerium des Innern und für Heimat finanziell unterstützte landesweite Netz, das bislang aus 14 ungarndeutschen Lehrpfaden bestand, wurde um zwei weitere Elemente ergänzt: Nun verfügt auch Sattel-Neudorf im Komitat Komorn-Gran und Trautsondorf im Komitat Borschod-Abaujwar-Semplin über einen einschlägigen thematischen Weg. Ihre feierliche Übergabe verlief nicht ganz nach Plan: Während in Sattel-Neudorf das Wetter nur bedingt mitspielte, machte es in Trautsondorf die Veranstaltung völlig unmöglich. Abgesehen davon können beide Ortschaften sehr stolz auf ihre neuen thematischen Wege sein, die die Vergangenheit und Gegenwart der deutschen Gemeinschaft vor Ort aufdecken.

Trautsondorf im Tokajer Gebirge erwartete für den 30. November seine Gäste. Geplant war, dass nach Ansprachen und einem Kulturprogramm alle gemeinsam den Lehrpfad – der von der einen zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Kellerreihe zur anderen führt – begehen. Da der nationale Wetterdienst jedoch eine Wetterwarnung für den Tag der Veranstaltung herausgab, beschlossen die Verantwortlichen, kein Risiko einzugehen und sagten die Feier ab.

Auch in Sattel-Neudorf spielte das Wetter nicht mit, so dass sich die Feierlichkeiten auf die Kernstok-Villa als Veranstaltungsort beschränkten. Dort fanden allerdings mehrere Ansprachen statt: Sowohl die Projektträger als auch die Vorsitzende des Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen betonten die Bedeutung der neuen Anlage und die Wichtigkeit der Erhaltung des örtlichen deutschen Kulturerbes. Die Anwesenden erhielten einen Einblick in den Planungs- und Errichtungsprozess des Lehrpfads und in dessen kulturelle und pädagogische Dimensionen. Die Veranstaltung wurde durch Auftritte lokaler Kulturgruppen bereichert, und der Pfad wurde virtuell besichtigt.

Ibolya Hock-Englender, Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, bedankte sich anlässlich der Fertigstellung der beiden Lehrpfade bei den ungarndeutschen Gemeinschaften von Trautsondorf und Sattel-Neudorf und gratulierte ihnen: „Ich bin sehr dankbar, dass man in den beiden Ortschaften dieses Projekt in Angriff genommen hat, das mit einer äußerst komplexen Arbeit verbunden war. Ich freue mich besonders, dass unser landesweites Netz durch Trautsondorf auf eine Region ausgedehnt wird, die bisher über keine derartige Anlage verfügte. An beiden Orten wurde der von uns vor Jahren formulierte Grundgedanke umgesetzt, dass diese Themenwege vor allem die Besonderheiten und Charakteristika der deutschen Gemeinschaft vor Ort hervorheben sollen. Ich bin überzeugt, dass die dreifache Kombination aus Schautafeln, Begleitheften und interaktiven Elementen bzw. Installationen den Besuchern einzigartige Inhalte bieten wird. Ich danke den Akteuren vor Ort für ihren unermüdlichen Einsatz und ganz besonders den Gemeindevorstehern für ihre volle Unterstützung.“

Der Lehrpfad von Trautsondorf

Trautsondorf, auf Ungarisch Trautsonfalva (neuer Name des Ortes ab 1905: Hercegkút), wurde 1750 während der Herrschaft von Maria Theresia gegründet. Ihre Gründer waren schwäbisch-alemannische Siedler aus dem Schwarzwald und Südbaden, die auf Einladung des österreichischen Fürsten und ungarischen Aristokraten Johann Wilhelm von Trautson in der Hoffnung auf ein besseres Schicksal in die Nähe von Sárospatak übersiedelten und in dieser malerischen Landschaft am Fuße des Tokajer Gebirges ein Zuhause, eine neue Heimat fanden. Der Vater des Fürsten hatte das Gut nach der 

Niederlage des Unabhängigkeitskrieges als beschlagnahmtes Rákóczi-Anwesen von der königlichen Schatzkammer erworben. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam es in der Region infolge einer Reihe von verheerenden Kriegen und Epidemien zu einer erheblichen Entvölkerung. Der Mangel an Arbeitskräften machte die Bewirtschaftung des Guts unmöglich, was der Fürst durch die Ansiedlung schwäbischer Familien zu 

lösen versuchte. Den Bewohnern süddeutscher Gebiete kam nur die Abwanderung in neue, unbewirtschaftete Gebiete als Alternative in Frage, als die Zahl der Landwirte die Tragfähigkeit der landwirtschaftlichen Flächen überstieg. Die Gemarkung des Dorfes entstand so, dass die Siedlung von allen Seiten von Weinbergen umgeben war, und der Fürst die vernachlässigten Weinberge durch die Arbeit der Siedler wieder fruchtbar 

machen und bewirtschaften wollte. Allerdings stammten die meisten von ihnen aus einem Gebiet, in dem die natürlichen Bedingungen keinen Weinanbau ermöglichten. Andererseits verfügten die Familien aus der rheinnahen Hügellandschaft bereits über Erfahrungen im Weinbau, die sie mit anderen Mitgliedern der Gemeinde teilen konnten. Die Siedler eigneten sich schnell praktische Kenntnisse in Weinbau und Weinbereitung an, was die erste Volkszählung im Jahr 1750 genau belegt: Fast jede Familie verfügte über 1 bis 2 Weingärten (1 Parzelle = 94 Quadratklafter), und im Jahre 1776 wurden auf den umliegenden Weinbergen 170 Weingärten bewirtschaftet. Die erste Station des Lehrpfads befindet sich in der Kellerreihe auf dem Gombos-Berg, die letzte in der Kellerzeile am Kőporos-Hügel. Diese Stationen in der Nähe der in den Boden eingegrabenen und einen außergewöhnlichen Ausblick bietenden Weinkeller erzählen die Geschichte des örtlichen Weinanbaus. Die vier Stationen dazwischen vermitteln Informationen über das religiöse Leben, über sakrale Bauten und Traditionen, über das schwäbische Heimatmuseum und seine Schätze sowie durch persönliche Schicksale über die lokalen Ereignisse der Verschleppung zum „Malenkij Robot“.

Der Lehrpfad von Sattel-Neudorf

Für die Deutschen, die sich im 18. Jahrhundert in Ungarn niederließen, war es besonders wichtig, dass ihre neue Heimat, ihre neue Siedlung, über die vier W’s verfügte: Wasser, Wald, Weinberg und Wiese. Die Deutschen, die sich in Sattel-Neudorf ansiedelten, fanden all das vor: Das Wasser, denn die Stadt liegt an der Donau, die Wälder, die Wiesen und sogar ein Weindorf. Ihre Nachkommen haben in den vergangenen 300 Jahren durch ihren Fleiß, ihre Sparsamkeit, ihren gesunden Menschenverstand, ihre Offenheit und ihren Einfallsreichtum Werte, Bräuche und Traditionen geschaffen, auf die die Bewohner des Dorfes noch heute stolz sind. 

Die Stationen des Lehrpfads vermitteln dem Besucher diese Werte. Die Wanderung beginnt in der schön renovierten Kernstok-Villa. Die Stadt hat nämlich unserem Land einen großen Maler geschenkt: Károly Kernstok, dessen Werk hier zu erkunden ist.

Auf dem János-Nyergesi-Platz entdeckt man, wie begabt die Vorfahren der hiesigen Deutschen in der Pferdezucht waren. Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich die Poststation des Dorfes zu einem belebten Pferdewechselplatz, wobei die sogenannten Eilbauern oder Kuller von Sattel-Neudorf sogar mit den kaiserlichen und königlichen Postkutschen konkurrierten. 

Die Vorfahren hatten auch schwere Zeiten wie Kriege und Vertreibung mitgemacht, aber ihre Kultur haben sie immer bewahrt. Auf der Station im János-Nyergesi-Heimatmuseum kann man sich über die Vergangenheit der Schwaben von Sattel-Neudorf, ihre Hochzeits- und Trachtenbräuche informieren. 

Die Bedeutung der Industrie ist in der Stadt auch heute noch groß, und das war in der Vergangenheit nicht anders – eine Reihe berühmter Familiendynastien zeugt davon. An der vierten Station geht es um das Handwerk der Vergangenheit. 

An der fünften Station erfährt man, dass die Vorfahren der Deutschen von Sattel-Neudorf auch im Weinbau bewandert waren und welche Werkzeuge sie neben der traditionellen „deutschen Presse“ benutzten. 

Und warum die sechste Station, die sich mit den örtlichen Pferderenntraditionen befasst, ausgerechnet dort liegt, wo sie liegt, wird sich vor Ort zeigen. Man erfährt sogar, welche Privilegien der „Pfingstkönig“ einst genoss und ob die Männer von Sattel-Neudorf tatsächlich ohne Sattel ritten.

Im Rahmen des 2015 von der Landesselbstverwaltung initiierten und vom Bundesinnenministerium unterstützten Projekts wurden bisher insgesamt 15 lokale Lehrpfade (in Schomberg, Santiwan bei Ofen, Tarian, Feked, Nadasch, Band, Badeseck, Tscholnok, Mohatsch, Petschwar, Bogdan, Moor, Seksard, Sattel-Neudorf und Trautsondorf) sowie ein Landeslehrpfad in Baja errichtet. Aus der vor acht Jahren geborenen Idee sind mehrere hundert Meter lange Wanderwege geworden, die sich großer Beliebtheit erfreuen, weshalb immer mehr ungarndeutsche Ortschaften mit Tafeln, interaktiven Elementen und Begleitheften Werte und Besonderheiten der vor Ort lebenden Deutschen präsentieren. Diese Projekte werden von den lokalen deutschen Selbstverwaltungen, den vor Ort tätigen Institutionen und Zivilorganisationen in Zusammenarbeit mit Freiwilligen durchgeführt.

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